Wenn Frauen führen, aber die Kraft schwindet

Frauen tragen oft eine innere Mission in sich. Sie wollen etwas bewegen in dieser Welt und treten entschlossen an, um ihre Ideen für einen lebenswerteren Planeten umzusetzen. Doch was tun, wenn sich Widerstände aufbauen und die Kräfte scheinbar nicht reichen?

Frauen, die mit hoher Visionskraft führen, beeindrucken mit ihrem Engagement für eine bessere Welt. Wofür brennen sie? Was sind Themen, für die sie meinen, dass es sich lohnt, Einsatz zu zeigen und Dinge vorwärts zu treiben? Da wären beispielsweise Bildung, Kulturverständnis, Minderheitenrechte, Nachbarschaftshilfe im Kleinen wie im Großen, Chancengleichheit für Kinder, Nachhaltigkeit in allen Lebensformen, Tierschutz, Ökologie, Ernährung. Die Liste ließe sich fortsetzen, aber es lässt sich bereits jetzt herauslesen, von welch großen Themen Frauen mit Führungskompetenz geleitet werden.

Mein persönliches Vorbild ist Vivien Westwood, die als Modedesignerin komplett neue Wege beschritt. Sie förderte Frauen, sie schützte Frauen, sie machte Frauen schön. Das bekannteste Highlight ihrer progressiven Damenkollektionen stellt das 1987 präsentierte Korsett namens Statue of Liberty als Oberbekleidung (!) für die Frau dar. Westwood war neben ihrem Leben als Designerin und erfolgreiche Unternehmerin aber auch beseelt davon, ihren bekannten Namen für den Tierschutz und die Menschenrechte zu nützen. Mit persönlichem und großem finanziellem Aufwand unterstützte sie Organisationen wie Survival International und Greenpeace. Sie lukrierte mit Hilfe ihrer Anhängerinnen und Anhänger auch eine respektable Summe für den Schutz des Regenwaldes. Eine mutige und radikale Persönlichkeit!

Frauen mit weniger hohem Bekanntheitsgrad, aber einem ähnlich starken Beseeltsein von einer Mission, erlebe ich in meiner Praxis. Es sind Frauen, die neben ihrem Grundberuf noch weitere Themen in Kopf und Herzen haben, die sie umsetzen wollen. Es sind weltverändernde und weltverbessernde Aufgaben, die sich an dem Wohle der Menschheit orientieren. Diese Frauen besitzen eine charismatische Ausstrahlung, sie sind meist extravertierte Wesen, die im Netzwerken sehr gut sind und sich auch nicht scheuen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es geht ihnen oft nicht darum, Macht im engeren Sinne zu erreichen, aber sie besitzen sehr wohl ein Erfolgsstreben und fühlen sich mit Leidenschaft angetrieben von ihrer Mission. Sie gehen mit Optimismus, Begeisterung und Weitsicht in jeden Tag. Sie entwickeln eine umfassende Fachkompetenz und weisen eine hohe emotionale Kompetenz auf. Sie tragen Visionen in sich, sie denken in Generationen weiter. Sie sind offen für die Meinungen von Expertinnen und Experten. Diese holen sie auch gerne auf die Bühne. Sie besitzen eine hohe Entschlossenheit, sind entscheidungsfreudig und entscheidungsfähig. Sie können die Dinge gut auf den Punkt bringen. Sie haben ein gutes Gespür dafür, was die Zukunft bringt.

Hindernisse für Führungsfrauen

So weit, so wunderbar. Doch wo könnten sich die Schattenseiten auftun? Diese Frauen werden nicht allseits geliebt, denn das Laute und Radikale stößt natürlich auch auf Widerstände und  verunsichert so manche. Ihr schnelles Sprechen und das Tempo, in dem vorgeprescht wird, ist dem Umfeld oft zu viel, verwirrt und erschlägt. Diese Frauen spüren natürlich den Widerstand, aber ihre innere Mission treibt sie weiter; sie peilen auch gar nicht an, von allen geliebt zu werden.

In meiner Coachingpraxis erlebe ich diese Frauen natürlich nicht nur in ihrer Vorwärtsbewegung, sondern auch im Zweifel und in problematisch wahrgenommenen Lebensphasen. Sie wollen eigentlich Vieles und vor allem viel Gutes erreichen und fühlen sich bei ihrer Mission ausgebremst, sehen ihre Kräfte schwinden und zweifeln dann auch an ihrer Richtung. Sie spüren eine Ruhelosigkeit und Ungeduld in sich, gepaart mit dem Gefühl nicht weiterzukommen. Sie kommen vielleicht sogar gedanklich zu dem Punkt, alles wegschmeißen zu wollen. Sie verlieren an Selbstsicherheit, sie zweifeln an ihren Fähigkeiten als Mutter, als Ehefrau, als Unternehmerin, als Führungskraft.  

Ein Klassiker, man mag es kaum glauben, ist die Vereinbarkeit von Beruf, Berufung, Familie und Mutterschaft. Frauen in ihren Dreißigern sehen sich immer noch mit einer Gesellschaft konfrontiert, wo das Abgeben des Nachwuchses in Kindereinrichtungen wie Krabbelstube und Hort wenig goutiert wird. Wo selbst die eigenen Eltern nicht verstehen, warum Abendveranstaltungen schlichtweg Teil des Jobs sind und es dem Vater sehr wohl zumutbar ist, die Kinder alleinverantwortlich zu betreuen. Wo sie den Neid und das Unverständnis anderer Mütter spüren. Vielleicht sogar deren Mitleid mit den eigenen Kindern, denen eine zu hohe Eigenständigkeit abverlangt wird.

Der nächste Klassiker, der sich im Coaching auftut, besteht darin, dass Frauen, die im Vorstand oder im Aufsichtsrat eine Funktion innehaben, immer noch hart um ihr Wort kämpfen müssen und zwar härter als so manch männliches Mitglied.

Oft verlieren Frauen auch an Kraft, wenn sie nach Übernahme des väterlichen Unternehmens in einem konservativen Umfeld für ihre Visionen und Ideen belächelt werden.

Führungsfrauen müssen nicht vollenden

Der Weg zurück in die Kraft und die eigene Mission ist oft kein langer. Denn der Zweifel an der eigenen Selbstwirksamkeit ist rasch beseitigt, wenn sich diese Frauen Sparringspartnerinnen installieren, die ihnen ihre Qualitäten rückspiegeln, die ihnen Motivation und Mut zusprechen. Eine Sparringpartnerin, die sie erkennen lässt, dass sie mit ihrem Wesen natürlich nicht die Masse an Frau repräsentieren und sich somit auch nicht an der Masse zu orientieren haben.

Im Coaching widmen wir uns der Frage, wo man sich auf die Suche machen kann, um ähnliche Frauen zu finden und wir stöbern Orte auf, wo Frau sich Kraft holen kann. Offen gesagt, es sind meist nicht die Kinder und die Großfamilie, wo die Inspiration und die Kraft zum Weitermachen gefunden werden. Aber es kann sehr wohl die vierzehntägige Schauspielgruppe sein, wo künstlerisch begabte Menschen ihre Kreativität und ihren Rollenwechsel leben wollen. Zeit im Austausch mit ähnlich gepolten Menschen bedeutet für den beschriebenen Frauentyp den puren Energiegewinn. Sich in ein Umfeld zu begeben, wo die eigenen Kompetenzen und Stärken wertgeschätzt werden, lädt deren Batterien besser auf als die tägliche Meditation oder die Yogastunde. Hinausgehen in die Öffentlichkeit, Menschen treffen, die mit der eigenen Mission etwas anzufangen wissen und das tun, was immer Spaß gemacht hat – das sind erfolgreiche Wege, um Selbstzweifel in kürzester Zeit wieder aufzulösen.

Es gibt noch einen Tipp für diesen Frauentypus, der zunächst wie ein risikoreiches Unterfangen klingt: Packt etwas Neues an, widmet euch einer neuen Idee! Denn im Neubeginn blühen diese Frauen auf, der geht ihnen leicht von der Hand, da beginnen die Endorphine zu sprudeln. Das Neue steht für unglaublich viel positiven Eustress und ich als Coach rate davon sicherlich nicht ab. Selbst wenn andere sagen, jetzt bremse dich endlich ein und fange nicht schon wieder etwas Neues an. Natürlich schlummert bei diesen ideenreichen, beseelten Menschen das Gefahrenpotential der Überforderung, denn zu viel Eustress kann auch den unerwünschten Distress erzeugen und einen die Grenze zur Erschöpfung übersehen lassen. Dann wird es notwendig sein, rechtzeitig die Zielpalette erneut zu betrachten, die erreichten Ziele abzuhaken, Struktur zu schaffen und das eine oder andere zu delegieren. Frauen im Format einer Vivien Westwood sind permanente Erneuerinnen, die sich auch nicht im Detail verlieren und ein Thema ewig bespielen sollten. Etwas anzufangen und bewusst nicht zu Ende zu bringen, sondern es für die Weiterführung oder Vollendung abzugeben, darf und soll sein.